Apparently, Art People Don’t Do Boring Things Nowadays

Dieser Text entstand in seiner ursprünglichen Form – länger und in englischer Sprache – im Rahmen eines kollaborativen Projektes der Masterstudiengänge Arts & Heritage der Universität Maastricht und POLIS der Maastricht Academy of Fine Arts and Design (MAFAD).

Der Zweck des Projektes bestand nicht darin, eine eigentliche Ausstellung zu konzipieren, sondern viel mehr, die Studenten mit der Konstellation „Künstler vs. Kuratoren“ vertraut zu machen und anhand eines praktischen, über mehrere Wochen andauernden Projektes zu erfahren, wie ein Projekt kollaborativ und interdisziplinär entstehen kann (oder auch nicht).

Der Zeitplan des Projektes, das im Nachhinein den Titel »DEBATE IT« erhalten hat, war gesetzt für die Zeit zwischen 24. Februar und 23. März 2017. Geplant war, die Ergebnisse am 24. und 25. März im Open Space, dem Ausstellungsraum der MAFAD, zu präsentieren.

1. Akt | Die Vorbereitung

Das erste Treffen zwischen den Studierenden fand schon im November 2016 statt, und es war in vielen Hinsichten bemerkenswert. Wegen verschiedener Probleme in Planung und Logistik des Treffens (zu viele Teilnehmer auf zu wenig Raum; Teilnahme von unbeteiligten, aber meinungsstarken Studierenden), sowie dank einer Reihe von Missverständnissen in beiden Gruppen, war das Treffen irgendwie eskaliert und das Projekt schon vor Beginn fast in der Tonne.

Intern begannen die Studierenden der UM ab diesem Zeitpunkt, sich mit POLIS und dessen (angedachten) Grundsätzen näher auseinanderzusetzen. Diese kritische Auseinandersetzung unter Einbezug der Literatur, auf die sich die Programmbeschreibung bezog (u.a. Aristoteles und Hannah Arendts Vita activa), hat sich später für das Projekt als elementar erwiesen. 

[Polis meint] die Organisationsstruktur ihrer Bevölkerung, wie sie sich aus dem Miteinander-handeln und -sprechen ergibt.
(p. 192)

Das zweite Treffen (und das erste Treffen der eigentlichen KollaboratorInnen) fand am 20. Februar 2017 statt. Obwohl das grundlegende Konzept als eine selbstständige Arbeit der Studenten angelegt war, griffen Lehrkräfte von POLIS von Anfang an in die Diskussionen ein und versuchten – möglicherweise unbewusst – die Richtung der Gespräche zu steuern. Eine offene Diskussion, oder gar ein Gespräch wurde so schon in der Entstehung zuverlässig unterbunden. Seit diesem Datum fanden die Treffen wöchentlich im Open Space und ohne Anwesenheit der Lehrkräfte statt. Eine Bedingung wurde von den Künstlers direkt am Anfang der Zusammenarbeit formuliert: Es wird keine »Ausstellung« geben. Ausstellungen seien »zu langweilig«. Bezeichnend, dass diese Forderung von einer Künstlerin gestellt wurde, die letztlich überhaupt nicht teilgenommen hat.  »Apparently, art people don’t do boring things nowadays« (Zitat: meine gute Freundin E. Marr).

In den Brainstormings dieser Phase entstand die Idee, das Projekt um das Topos der Bibliothek herum aufzubauen, da der Open Space früher als solche fungierte und noch heute ein Bruchteil der Bände beinhaltet. Einige der Künstler begannen zu diesem Zeitpunkt bereits, Ideen für spätere Werke zu entwickeln, verwarfen diese aber wieder wegen fehlender Ideen und des sich abzeichnenden ernsthaften Zeitdrucks. Aufgrund dessen wurde von den Künstlern auch das Topos der Bibliothek verworfen, ohne jedoch mit der curatorship class zu beraten oder sie auch nur zu binformieren. An dieser Stelle wurde zum wiederholten Mal deutlich, dass wir es nicht geschafft haben, die Kommunikationsschwierigkeiten innerhalb der Gruppe auszuräumen.

Den ersten großen Fortschritt machten wir während des Treffens in einer Bar am 13. März. Etwas hatte sich spürbar verändert; die Künstler begannen, auch uns gegenüber ihr Masterprogramm und dessen Mission-Statement explizit in Frage zu stellen und zum ersten Mal entwickelte sich spontan eine offene Diskussion, diesmal über POLIS, die Debatte als konzeptionellen Schwerpunkt des Programmes und seine Beziehung zur Kunst im Allgemeinen. 

Das »project«, die »non-exhibition« wurde das »something«, als es in der Woche vor dem Event begann, Form anzunehmen. Bis zum Ende der Woche stand der Plan, unsere Diskussion über POLIS weiterzuführen, gestützt auf Material aus akademischen wie künstlerischen Studien. Zusätzlich luden wir, Wissenschaftler und Experten aus academia und den Künsten ein, um die Debatte angemessen unterfüttern zu können. 

Vielen der Eingeladenen zeigten reges Interesse am Konzept, konnten jedoch aus Zeitgründen nicht mehr zusagen – die Einladung erreichte sie schlicht zu kurzfristig.

2. Akt | Das Konzept 

Wir entschieden uns, beim something gewissermaßen den Regeln einer formalen Debatte zu folgen, wie sie etwa in Parlamenten stattfinden. Einige der Künstler entwickelten den physischen Raum, innerhalb dessen die Diskussion stattfinden sollte: Ein Boxring mit verschiedenen Markierungen, der auch dem Aussehen nach den Aspekt der Dynamik innerhalb einer Debatte physisch erfahrbar machen sollte. Die Fläche innerhalb des Ringes teilten wir in die Felder »I agree« und »I disagree«, die Fläche außerhalb des Ringes wurde markiert als die indifferente Position »I don’t know | I don’t care«.

Die Themen, die zu diskutieren waren wurden am Tag vorher durch Abstimmung bestimmt. Die Liste sah folgendermaßen aus:

  • All of that art-for-art’s-sake stuff is bullshit. What are these people talking about?
    Are you really telling me that Shakespeare and Aeschylus weren’t writing about kings? All good art is political!
  • Artists|Institutions do have a moral responsibility.
  • Hannah Arendt is irrelevant to the program of POLIS.
  • A debate can exist without words. 
    We cannot talk about nothing. Nothingness is not a topic.
  • The curator is more clever than the artist.
  • Taking a position happens consciously. 
    A real position is always taken consciously. 
  • Curators are in charge of exhibitions.
  • The Position of an artwork can be detached from the artist’s intention.
  • Arts can be indifferent.
  • Artists don’t need to answer questions, academics do.
  • The things in your fridge say something about who you are. 
  • There is no exhibition without an audience. 
  • »Art is a leftist hobby.«
  • Education in art doesn’t work. 

Ergänzend wurde am Veranstaltungsort Videomaterial zum Thema »Debatte« gezeigt, inklusive einer Gruppe buddhistischer Mönche, die in sich in eine Diskussion vertieft hatten, sowie einen Monty Python-Sketch. Die folgenden »Spielregeln« wurden direkt am Eingang plakatiert: 

  • Es gibt einen Moderator
  • Wer eine Position bezieht, muss diese mit einem Argument begründen
  • Die Positionen innerhalb des Ringes sind
    • zustimmend
    • ablehnend
  • Die Positionen außerhalb des Ringes sind
    • »Ich weiß nicht« | »Interessiert mich nicht«
  • Ein Argument ist nie eine (rhetorische) Frage
  • Es ist erlaubt, seine Position zu ändern. Eine Änderung muss aber mit einem Argument begründet werden.
  • Eine Runde startet immer mit einer zustimmenden Aussage.

3. Akt  | Reflexion

Das Event, das wir im Nachhinein »DEBATE IT« getauft hatten, war von unserer Warte her doch ein beachtlicher (winziger) Erfolg. Ich habe in dieser kurzen Zeit wahnsinnig viel gelernt. Über Künstler, über Kunstakademien, über’s Organisieren, über Menschen, über’s Mensch-sein. Über Räume. 

Kunstakademien sind kreative Orte, wo allerhand Grenzen ständig verschoben und auf Belastbarkeit getestet werden, wo Formalia angewandt oder gebrochen werden, wenn es opportun erscheint. An solchen Orten werden großartige und beschissene Dinge geschaffen, es wird Kluges und Dummes gesagt; es werden dort Werke geboren, die durch den Betrachter überhaupt erst geschaffen werden oder solche, von denen niemand weiß, dass es sie überhaupt gibt. Ihre Relevanz aber, ziehen die Akademien nicht unbedingt aus dem Lehrpersonal, das allzu oft die Freiheit des Geistes propagiert, am Ende aber doch in sehr engen Grenzen agiert (und agieren lässt), für die zu schaffende Kunst ist das aber nur so mittel-ideal.

Schön ist, wenn sich etwas festgefahren hat und jemand mit einiger Resolutheit sagt, »Das ist kacke«, weil sich sonst irgendwann gar nichts mehr bewegt. Teamwork ist schon nett, aber nicht um jeden Preis: Einhelligkeit kann auch einfach in einem Schuss ins Knie enden. Konflikte können auch überaus produktiv sein, wenn man richtig damit umgeht. Ein wichtiger Aspekt dabei: soziale Räume.  

Räume sind wahnsinnig wichtig, vor allem, wenn es um bestimmte Arten sozialer Interaktion geht. Dabei geht es nicht immer nur darum, überhaupt einen Platz zu finden, an dem man sich treffen kann (und zu dem man auch Zugang hat). Die Natur des Raumes spielt auch eine Rolle, wenn es darum geht, sich kennenzulernen und in eine Gruppe zu finden. Neutrale Räume wie Bars, Einkaufszentren, etc.,  die vorher von keiner Partei in Besitz genommen wurden, dynamisieren die sozialen Prozesse innerhalb einer (oder zwei) Gruppe(n). Sie können helfen, das Gefüge der Gruppenzugehörigkeit aufzubrechen, allein dadurch, dass sie ggf. die die Gruppen in eine andere Form zwingen. DEBATE IT hat das insofern geholfen, als das wir zum ersten Mal Gespräche in kleineren Gruppen und auf persönlicher Ebene führen konnten (vulgo: »kennenlernen«).